Exotischer Nachtschwärmer

Leipziger Forscher haben das Genom des Kiwis entschlüsselt

Das Maskottchen Neuseelands ist ein bizarrer Vogel, der für Wissenschaftler gleichsam interessant wie rätselhaft ist. Ein internationales Forscherteam hat jetzt das Erbgut des Kiwis entschlüsselt und ist damit der ungewöhnlichen Biologie des kleinen Laufvogels auf die Spur gekommen: Beim Kiwi sind nicht nur einige Gene für die Farbsichtigkeit inaktiv, der Vogel hat auch auffällig viele verschiedene Riechrezeptoren, was den guten Geruchssinn des nachtaktiven Tieres erklärt. Die genetischen Veränderungen des Kiwis liegen etwa 35 Mio. Jahre zurück und entstanden vermutlich, nachdem der Vogel Neuseeland besiedelte. Sie sind, so scheint es, das Ergebnis der Anpassung an die damalige neuseeländische Fauna. Die Forschungsergebnisse verraten außerdem, dass die Tiere eine geringe genetische Variabilität zeigen, ihre Gene sich also kaum voneinander unterscheiden. Das werde die Arterhaltung der ohnehin vom Aussterben bedrohten Vögel in Zukunft wahrscheinlich erschweren, so die Forscher.

Der Kiwi ist einer der ältesten Vögel der Erde und erinnert mehr an ein Säugetier als an einen Vogel: Er besitzt nur noch rudimentäre Flügel und kann demnach nicht fliegen, er hat keinen Schwanz und seine braunen Federn gleichen einem Fell. Der ausschließlich in Neuseeland anzutreffende Vogel ist ein Verwandter des Strauß, des Emu und des Nandu – mit seinen etwa 35 cm allerdings der mit Abstand kleinste Laufvogel der Erde. Er fällt aber nicht nur wegen seiner Größe aus der Reihe, sondern auch durch seine Lebensweise: Der Kiwi ist ein nachtaktives Tier. Er kann nicht gut Farben sehen, dafür aber umso besser hören und, was für Vögel ungewöhnlich ist: sehr gut riechen. Seine Nasenöffnungen liegen an der Spitze und nicht wie bei den meisten Vögeln an der Basis des Schnabels. Eine weitere Besonderheit des Kiwis: Seine Körpertemperatur gleicht der von Säugetieren. Sie liegt bei 37 Grad Celsius, bei den meisten anderen Vögeln bei 42.

Seine außergewöhnlichen biologischen Eigenschaften machen den Kiwi für die Wissenschaft äußerst interessant. Bisher gab es allerdings nur wenig genetische Informationen über diesen Vogel. Daher hat jetzt ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Torsten Schöneberg vom Institut für Biochemie der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und Janet Kelso vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig das Erbgut des Braunen Kiwis entschlüsselt. Dabei nahmen die Forscher v. a. jene Gene genauer unter die Lupe, die für das Sehen und Riechen eine wichtige Rolle spielen. Außerdem verglichen sie das Genom des Kiwis mit dem Erbgut anderer Vögel und Säugetiere, um herauszufinden, wann der Laufvogel zu seinen außergewöhnlichen Eigenschaften kam. 

Die Wissenschaftler entdeckten, dass einige der sogenannten Opsin-Gene, die für die Farbsichtigkeit essenziell sind, im Kiwi-Genom inaktiv sind und der Vogel daher keine Farben wahrnehmen kann. Außerdem hat er viele verschiedene Riechrezeptoren, d. h., sein Geruchssinn ist hochentwickelt. Da diese genetischen Veränderungen nach seiner Besiedlung Neuseelands auftraten, sehen die Forscher einen Zusammenhang: „Sie sind eine Folge seiner Anpassung an die Nachtnische“, erklärt Torsten Schöneberg von der Universität Leipzig. Aus dem Tagleben verdrängt worden sei der Kiwi wahrscheinlich von anderen Nahrungskonkurrenten wie dem bereits ausgestorbenen Moa, einem größeren tagaktiven Laufvogel. 

Vermutlich kam der Kiwi vor knapp 50 Mio. Jahren aus Madagaskar nach Neuseeland – damals noch geflogen. „Die Flügel verloren die Vögel wahrscheinlich, weil keiner hinter ihnen her war“, erklärt Schöneberg. Damals habe es nur Vögel aber keine Säuger auf den Inseln Neuseelands gegeben. Das Fehlen dieser natürlichen Feinde habe Flügel als Fluchtinstrument überflüssig werden lassen. Es dauerte etwa 20 Mio. Jahre, bis der Kiwi an die neue Umgebung angepasst war. „Das ist eine lange Zeitspanne, doch wenn wir zu anderen Planeten fliegen, dürfen wir nicht erwarten, dass wir schon in der nächsten Generation angepasst sind“, betont Schöneberg. Dieses Beispiel zeige, dass die Natur Millionen Jahre und viele Generationen benötigt, um solch komplexe Veränderungen umzusetzen, wie der Kiwi sie im Vergleich zu anderen Vögeln aufweist.

Durch einen Vergleich der Gene zweier Exemplare fanden die Forscher außerdem heraus, dass sich die Gensequenzen der Tiere kaum voneinander unterscheiden. „Damit dürfte es schwierig sein, diese Vogelart zu erhalten“, erklärt Schöneberg. Denn je geringer die genetische Variabilität, desto schwieriger sei es, eine biologisch stabile Population zu züchten. „Die Kiwis sind ohnehin nicht sehr reproduktionsfreudig“, sagt der Wissenschaftler. Er gehe aber davon aus, dass die Forschungsergebnisse in Zukunft dafür genutzt werden, die vom Aussterben bedrohte Art zu schützen. Bleibt zu hoffen, dass den Neuseeländern ihr Nationalsymbol, nach dessen Namen sie sich übrigens selbst „Kiwis“ nennen, erhalten bleibt.

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