[Bild der Wissenschaft, 03.02.2011]
Ein internationales Forscherteam ist bei der Bestandsaufnahme der Vielfalt menschlicher Gene ein gutes Stück weitergekommen: In einer großangelegten Studie, an der auch deutsche Wissenschaftler maßgeblich beteiligt waren, analysierten die Forscher das Erbgut von insgesamt 185 Menschen. Dabei entschlüsselten sie Tausende von bislang unbekannten Strukturvarianten – große Abschnitte im Erbgut, die bei jedem Menschen anders sind. Von den Ergebnissen versprechen die Forscher sich auf Dauer ein besseres Verständnis davon, wie Gene die Gesundheit beeinflussen. Die Studie ist Teil des “1.000 Genomes Projects”, das zum Ziel hat, eine detaillierte Datenbank humangentischer Variationen zu schaffen.
Im menschlichen Genom gibt es weite Bereiche, die sich Mensch zu Mensch deutlich unterscheiden. In diesen Regionen können zum Beispiel ganze Erbgutstücke fehlen, was Forscher Deletion nennen, oder es gibt sogenannte Insertionen, bei denen zusätzliche Erbinformationen in das Genom eingebaut sind. Bereits frühere Forschungsergebnisse hatten darauf hingedeutet, dass solche Strukturvarianten möglicherweise mit einer Reihe von genetischen Störungen wie Farbblindheit, Schizophrenie oder bestimmten Krebsformen in Verbindung stehen. Allerdings erschwerten die Größe, die Komplexität und auch die Vielfalt des menschlichen Erbguts eine genauere Untersuchung dieses Zusammenhangs.
Um das Problem anzugehen, wurde im Jahr 2008 das internationale “1.000 Genomes Project” ins Leben gerufen. Ziel des ehrgeizigen Projekts ist es, bis 2012 die Genome von 2.500 Menschen zu sequenzieren und damit die bisher umfangreichste Bibliothek menschlicher Genome zu schaffen. Auch die aktuelle Studie gehört zu diesem Projekt. Darin ermittelten 57 Wissenschaftler von insgesamt 26 unterschiedlichen wissenschaftlichen Institutionen die genaue Sequenz großer Strukturvarianten, indem sie sich die Genome von 185 Menschen vornahmen, die im Rahmen des “1.000 Genomes Projects” bereits sequenziert worden waren.
Die Wissenschaftler entschlüsselten 22.025 bisher unbekannte Deletionen sowie 6.000 andere Strukturvariationen. Dabei fanden sie insgesamt 51 Hotspots, an denen bestimmte Veränderungen besonders häufig auftraten. Sechs dieser Brennpunkte befanden sich in Bereichen, die bereits früher mit Krankheiten in Verbindung gebracht worden waren. Dazu gehört auch das Miller-Dieker-Syndrom, eine angeborene Hirnkrankheit, die zum plötzlichen Kindstod führen kann.
“Je genauer die Positionen und Sequenzen von Strukturvarianten im Erbgut bekannt sind, umso einfacher wird es sein, die genetischen Ursachen von bisher unerklärbaren Krankheiten zu erkennen”, erklärt Jan Korbel den Nutzen der aufwendigen Suche. Und er sieht optimistisch in die Zukunft: “Möglicherweise werden unsere Resultate verstehen helfen, weshalb manche Menschen bis ins hohe Alter gesund bleiben, während andere bereits in jungen Jahren Krankheiten entwickeln.” Außerdem könnten die Ergebnisse bei der Aufklärung der Frage helfen, weshalb sich bestimmte Abschnitte im menschlichen Genom schneller verändern als andere.